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Dandy und Paradoxie
Von Baudelaire bis zur Installation "Metareflektor Luftoffensive"

Clemens Bach

An eine, die vorüberging

Der Straßenlärm betäubend zu mir drang.
In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft,
Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft,
Den Saum des Kleides hob, er glockig schwang;

Anmutig, wie gemeißelt war das Bein.
Und ich, erstarrt, wie außer mich gebracht,
Vom Himmel ihre Augen, wo ein Sturm erwacht,
Sog Süße, die betört und Lust, die tötet ein.

Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren,
Durch deren Blick ich jählings neu geboren,
Werd in der Ewigkeit ich dich erst wieder sehen?
Woanders, weit von hier! zu spät! soll s nie geschehn?

Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt,
Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!

(Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen)

I.

Der Dandy Baudelaire gibt uns in diesem Sonett eines zu verstehen: Die Menge muss nicht namhaft sein, sie ist anwesend, obwohl sie nicht beschrieben wird. Die Erscheinung, in Form der einen die vorüberging, setzt dies voraus. Die EINE muss ihren Widerpart in der Menge finden, damit die Ergriffenheit des Dichters überhaupt zum Ausdruck kommt. Nur durch die Menge kann wiederum eine Betroffenheit gegenüber dieser Person artikuliert werden, obwohl der Dichter in einer Art Isolation sein Dasein in der Menge fristet. Soweit die Benjaminsche Herangehensweise.

Bei der Betrachtung der Figur des Dandys lohnt es sich auch die Beschreibungen Jean Paul Sartres in Bezug auf Charles Baudelaire zu Wort kommen zu lassen. Dieser entdeckt im Dandyismus Baudelaires eine grundsätzlich stoische und asketische Haltung. Konzentration, scharfer Verstand, das sich nicht gehen lassen, das sich zwingen und hemmen. Alle diese Strategien begleiten den Dandy Baudelaire in der Großstadt. Es muss jederzeit ein Arbeiten an sich selbst im Zentrum des Dandydaseins geben. So ist hier ganz klar festzuhalten: der Dandyismus ist ein Zeremoniell! An dieser Stelle macht Sartre ein Paradox auf, das immer wieder in verschiedener Form die Definition des Dandys begleitet. Der Dandy ist immer zweierlei, Henker und Opfer. So schreibt Sartre: »Hier sieht man das Bemühen, sich zu verdoppeln, am klarsten Ausgedrückt: für sich selbst Objekt sein, sich schmücken, sich bemalen wie ein Schmuckkasten, um sich des Objektes bemächtigen zu können, um es lange zu betrachten und mit ihm zu verschmelzen.« (Sartre 1978, S. 84) Sich selbst also zum Gegenstand machen, um sich letztendlich mit dem selbigen verschmelzen zu können. Diese Strategie scheint immer auf verschiedene Widersprüchlichkeiten zu verweisen. Beispielsweise die Funktion, die der Dandy innerhalb des sozialen Feldes einnimmt. Er will zwar unnütz sein, und dient niemandem – aber er schadet auch keinem. Er ist ein autonomer Narziss, will aber zugleich subversiv sein und Integration in der Aristokratie erlangen. Er bezeichnet sich selbst als Deklassierter und wählt sein Umfeld nach Eigenschaften aus, die für den Dandy charakteristisch sind. Es gibt aber auch eine einfache Funktion für Baudelaire, die sein Verhalten und seine Widersprüche als Bewältigungsmodell für die Großstadt fruchtbar machen. Die Menge bleibt immer die Basis für den Dandyismus. Diese anonyme Menge bildet keine Vertrautheit für den Passanten. Haben die anderen bereits Urteile gefällt? Ein notwendiges Vorurteil gebildet, mit dem sie sich zufrieden geben? Alle haben Zugriff auf mich, will ich das? Für Baudelaire sind diese Fragen quälend und unangenehm. Er entwickelt in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Strategien.

Zum einen entdeckt er das Schauen in der Menge, welches den Vorteil hat, durch den jeweiligen Prozess des Schauens zu vergessen, dass man selbst angeschaut werden kann. Als Schauender verliert man sich nicht in der Menge, sondern man stellt fest, dass einem selbst kaum Beachtung geschenkt wird. Dieser Zustand des offensiven Schauens kann aber auch genau die Befürchtung bestätigen, vor der Baudelaire sich ja versucht zu schützen. Es braucht nur eine Person den Blick zu erwidern und schon wird der Mechanismus der Selbstprüfung in Gang gesetzt. Bloßgestellt, wie ein wildes Tier, ist man dem Blick des anderen ausgeliefert ohne auch nur eine Entscheidung mit beeinflussen zu können. Deshalb gibt es für Baudelaire die zweite Strategie: »Sein Dandyismus ist eine Abwehrmaßnahme gegen seine Schüchternheit. Die peinliche Sauberkeit, die Korrektheit seiner Kleidung sind Ausdruck einer steten Wachsamkeit und bezeugen einen Widerwillen dagegen, je bei einer Unkorrektheit ertappt zu werden: tadellos will er den Blicken der anderen entgegentreten.« (Sartre 1978, S. 93) Auch an dieser Stelle wird die Position des Dandys ambivalent. Sicherheit und Konvention sind die beiden ausschlaggebenden Positionen, mit denen der Dandy Aufgrund seiner Schüchternheit hantiert. Er muss für den potentiellen nächsten Blick gewappnet sein. Andererseits kleidet sich der Dandy Baudelaire extravagant, um seine Einzigartigkeit unter Beweis zu stellen. Er will Erstaunen erzeugen, um den Beobachter aus der Fassung zu bringen. Der Schüchterne hat die Oberhand in dieser Situation gewonnen. Dies dient ihm als Schutz, sozusagen als Maske.

Auffallen erregen, aber immer noch konventionelle Umgangsformen bedienen. Diesem Credo lässt sich die Paradoxie einverleiben. Aus dem l’art pour l’art des Baudelaire wird bei einem anderen und nicht unbekannten Vertreter des Dandyismus ein masque pour le masque, ein Maske um der Maske willen. Oscar Wilde knüpft an die Tradition Baudelaires an, verändert aber die Darstellung des Dandys auf frappierende Art und Weise. Dennoch steht bei Wilde, wie bei Baudelaire, das Paradox als Handwerk für die Ausübung des Dandys im Vordergrund.

II.

Lord Henry Wotton, einer der drei Protagonisten des von Wilde 1890 verfassten Romans »Das Bildnis des Dorian Gray«, äußert sich stellvertretend für Wilde mit dem folgendem Aphorismus: »Nun ja, der Weg der Paradoxie ist der Weg der Wahrheit. Um die Wirklichkeit auf die Probe zu stellen, müssen wir sie auf dem Drahtseil erleben. Erst wenn die Wahrheiten zu Akrobaten werden, können wir sie beurteilen.« (S. 60) Blasiert, weltfremd und vollkommen herausgerissen wirkt dieser Satz, der in einer ruhigen klubartigen Atmosphäre zum Besten gegeben wird. Doch wie sehen diese akrobatischen Leistungen aus? Lord Henry hat noch mehr zu bieten: »Ja, das ist eines der großen Geheimnisse des Lebens – die Seele mit Hilfe der Sinne zu heilen und die Sinne mit Hilfe der Seele. (…) Man hört zuweilen, Schönheit sei nur etwas Oberflächliches. Das mag sein. Aber wenigstens ist sie nicht so oberflächlich wie das Denken. Für mich ist die Schönheit das Wunder der Wunder.« (S. 36) Zwar wirken die sprachlichen Aneinanderreihungen des Dandys als äußerst widersprüchlich, wollen hier aber auf ein genaues Ziel hinaus. Der Ästhetizismus Wildes, mit seiner Forderung es müsse sich ein neuer Hedonismus entwickeln, der über das hellenische Ideal zu einem noch edleren Menschheitszustand avanciert, bildet hier den Kernpunkt. Bei Baudelaire ist dieses Motiv nicht zu finden. Wilde beschreibt einen vollkommen anderen Umgang mit der Position des Dandys. Dieser ist noch extravaganter, immer außergewöhnlich gekleidet, raucht mehrere Opiumszigaretten in der Stunde, steht nicht vor zwei Uhr auf und lässt sich nicht vor fünf Uhr auf der Straße blicken. Der perfektionierte Müßiggang ist hier das Aushängeschild für Oscar Wildes Konzept des Ästhetizismus. Das Leben muss in jedem Augenblick veredelt, in jede Pore hinein mit in das Gesamtkonzept der Individuation integriert werden. Maske um der Maske willen ist hier die Devise. Schon das Auftreten des Dandys in einer ausgewählten aristokratischen Gesellschaft gehört zu diesem Inszenierungsprozess. Hier gibt es den Luxus, die materiellen Möglichkeiten, die geistige Beflissenheit und somit auch das Publikum. Die Werkzeuge sind hier die Sprache und die Kleidung, nicht etwa künstlerische Werke, die abgeschlossen sind und ernsthaft versuchen etwas über den Künstler auszusagen. Der Künstler ist der Dandy. Ein Individuum, welches sich ausschließlich von der Selbstdarstellung ernährt. Selbst die Werkzeuge sind als solche keinem zweckrationalen Gestus unterworfen sondern sind Mittel und Zweck zugleich. Der Stil und die Kunst bilden in der gesamten Lebenskonzeption die Grundmaxime. Aber selbst dieser Gedanke wird mit den Worten Wildes schon im Vorwort des Romans ad absurdum geführt: »Wir können einem Menschen verzeihen, dass er etwas Nützliches schafft, solange er es nicht bewundert. Die einzige Entschuldigung für die Schaffung von etwas Nutzlosem besteht darin, dass man es zutiefst bewundert. Alle Kunst ist vollkommen nutzlos.« Das Einzige was übrig bleibt ist die Bewunderung, diese aber zergeht letztendlich auch in einer Art von Nutzlosigkeit. Hier taucht automatisch das Gesicht von Oscar Wilde vor unserem inneren Auge auf und spricht mit müden Augen und einem überheblich-ironischen Ton zu uns: »Erfahrungen? Erfahrung ist der Name, den wir unseren Irrtümern verleihen«. Wir sind sprachlos und können nichts erwidern. Wir können gar nicht daran denken diese Person vorläufig zu klassifizieren, da wir uns selbst als zu durchsichtig empfinden und in einen Moment der Starre verfallen. Auch Baudelaire hätte seine Befriedigung in dieser Situation gefunden. Den anderen in Unkenntnis über einen selber wiegen, schocken, um sich des anderen zu bemächtigen. Diese Strategie fährt Lord Henry mithilfe von Sprache und Kleidung, Baudelaire hingegen mit seinem Auftreten in der Menge. Vergleicht man diese beiden Dandykonzeption, so erscheint der Ansatz Baudelaires am fruchtbarsten. Er geht direkt mit der Menge um und entdeckt die Bewältigung der Großstadt direkt auf der Straße. Die rhetorischen Kartenspielertricks und die modische Extravaganz eines Oscar Wilde könnten allerdings dem Vorhaben Baudelaires Nachdruck verleihen. Jedoch befindet sich der Dandy Wilde in einem vollkommen überschaubaren Milieu, welches sich nicht mit der Menschenmasse der Großstadt auseinandersetzt. Darin liegt der größte Unterschied zu der Konzeption Baudelaires.

III.

Neue Umgangsformen mit der Großstadt lassen diese beiden Dandytypen dennoch verblassen. Medialen Einschätzungen zufolge werden besonders androgyne Prominente, Modezaren, extrovertierte Sportler, Künstler oder sogar Benjamin von Stuckrad-Barre als Neo-Dandys klassifiziert. In Anlehnung an den Prototyp Oscar Wilde lässt sich wahrscheinlich am besten diese Ansicht nachvollziehen. Dennoch bleibt dieses Dandymodell vor dem Abdriften in ein vollkommen bürgerliches Boheme-Milieu nicht gefeit. So ist es doch gerade die Extravaganz, das Individuelle, die Bemächtigung des anderen und das Nichtstun, was einen Wildetypischen Dandy ausmacht. Andererseits, und darauf gilt es den Fokus eigentlich zu richten, sollte die Position des Dandys die Möglichkeit darstellen, mit der die Reserviertheit und die Blasiertheit der Großstadt in Frage gestellt werden kann. Ob Charles Baudelaire oder Oscar Wilde, beide entwickelten unterschiedliche Konzepte, die einen kreativen und ästhetischen Umgang mit der Großstadt ermöglichten. Doch stellt sich die Frage nach der Behauptung des Dandys. Sind die alten literarischen und künstlerischen Vorstellungen des Dandys obsolet geworden? Sollte überhaupt noch der Versuch unternommen werden diesem Ideal entgegen zu arbeiten? Fest steht: Durch Deutungsvielfalt über den Dandy, lässt sich dessen Funktion auf den heutigen Umgang mit Großstadt immer noch verteidigen. So kann die Gestalt des Dandys auch ganz andere Formen annehmen. In der Ausstellung »An das Gerät!«, die in der Halle 14 in Leipzig 2010 zu besichtigen war, gab es solch eine Variante zu bestaunen. Der Dandy in Form des künstlichen Wissenschaftlers, der das Museum, aber auch die Straße zum Ort der Auseinandersetzung mit der Räumlichkeit macht. So haben Heike Mutter und Ulrich Genth die Gerätschaft »Metareflektor Luftoffensive« entwickelt, um den Museumsraum mit der zusätzlichen Hilfe ihres »Urwaldexpeditions-methodenrepertoirs« zu untersuchen und auszukundschaften. Die Aluminiumkonstruktion beherbergt zwei Zelte, oben und unten montiert, und ein Sammelsurium aus Seilen, Kletterhaken und Fallen. Von der Station aus, die über den Köpfen der zu Beobachtenden befestigt ist, schlängelt sich das Forschungsteam von Raum zu Raum. Diese Apparatur könnte, da sie mittlerweile in einen wetterfesten Zustand gebracht worden ist, auch in Großstätten installiert werden. Zwar würde das Flanieren dem Hangeln und Klettern Platz machen, aber einige Motive bei Baudelaire wären hier mit inbegriffen. Extravaganz, Verschmelzung mit dem Objekt, dadurch Schutz vor dem zu schnell urteilenden Blick der anderen und gleichzeitig dessen Paradoxie. Das Schauen würde aus einer anderen Perspektive betrieben werden und würde gerade zu einer neuen Art des Observierens werden. Wer hier Beobachten will ist klar, es ist der Dandy in Form des Forschers. Er will sich integrieren, so tun als ob er nicht da ist, aber doch gleichzeitig in eine neue bzw. ungewöhnliche Erscheinung treten um das Experiment zu provozieren. Nicht umsonst nennt sich diese Gerätschaft »Metareflektor Luftoffensive«. Wer Beobachtet wen, unter welchen Umständen? Integration zu behaupten aber dennoch als Offensive zu gelten. Dies Scheint hier gerade integraler Bestandteil zu sein. Vor allem die Suche nach dem Paradox fungiert hier als der zentrale Kern innerhalb der Auseinandersetzung mit der Großstadt. Es geht um die Bedingung der Möglichkeit, inwiefern die Großstadt und deren Bewohner intimer und empathischer erfahrbar gemacht werden können. Mit der Figur des Dandys kann also noch ein kreativer Umgang mit der Großstadt erfolgen und somit auch ihr Potential weiter entfesselt werden.